Sofia

FB438 von Bulgaria Air ächzt und knarzt aus allen Fugen. Nach Aufprall in Sofia hagelt es Applaus, als sei die Landung ein Wunder. Sofia Airport erinnert mich an Los Angeles, nur sauberer, moderner und nicht so kleinkariert. Komisch oder? Ich hatte Umgekehrtes vermutet. Ich stehe hilflos zwischen kyrillischen Buchstaben und fremden Menschen, bis Yuri mich birgt.

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Er kutschiert mich im Skoda durch die Plattenbauwüsten einer Stadt, die mich trotz ihrer Grauheit auf Anhieb fasziniert. Sofia erinnert an nichts, das ich kenne.

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Ein bißchen Wien vielleicht, nur schroffer, wilder und sehr viel ärmer. Ein bißchen Washington D.C., nur nicht ganz so herunter gekommen. Prächtige Fasaden, an denen der Putz vergangener Epochen im Winterwind klappert. Darunter friert ein Skelett aus morschem Klinker.

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Vor meinem Fenster im feinen Central Hotel Forum blinkt Leuchtreklame von Billa. Billa? Nie gehört.

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Ich dusche und inspiziere mein Zimmer. Alles da. Zahnbürste, Toilettenpapier, Duschgel, Minibar und ein Fernseher mit ARD und El Dschasira. Die Minibarpreise sind günstig. Ich vermute einen Hinterhalt, der aber bis zur Abreise ausbleibt. Es bleibt bei 2 Leva 50 für ein Bier (1 Euro 25) für eine ganz normale Flasche Heineken! Die Erdnüsse schmecken grässlich. Bääääh!

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 Yuri pickt mich auf und wir fahren Richtung Westen … vorbei an der ehemaligen Residenz des früheren Diktators Todor Shiwkow, die nun zu einer Hotelanlage umgebaut werden soll … auf einen verschneiten Berg in der Nähe der Kirche von Bojana … wo wir im “Smile” :o) ein köstliches Abendessen einnehmen. Es gibt Waldpilzragout, gegrilltes Fleisch, frischen Salat, Schafskäse und einen Schnaps vorne weg. Das kyrillische Kameniza-Bier ist übrigens hervorragend, auch wenn ich die Speisekarte vermutlich auf dem Kopf lese. 

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Ich habe keine Ahnung, ob man hier ausgeraubt wird. Ist mir aber auch egal. Ich ziehe meine knallorangene Goretexjacke Über den Faserpelz (ohne Dagmar wäre ich erfroren) und wage mich in die eisige Nacht. Es ist höllenglatt und im Gehweg drohen mir teuflische Schlaglöcher mit ihrem scharfkantigen Gebiss. Überall stehen dick vermummte Verkäuferinnen in Kellerlöchern und bieten Kartoffeln, Zwiebeln, Bier, Vodka und Postkarten an.

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Ich traue mich wieder mal nicht ein Foto zu machen, da ich ein schlechtes Gewissen wegen meines Sozialvoyeurismus verspüre. Hier und da stehen Gipsies am Straßenrand und wühlen im Müll nach Essbarem oder lassen ihre durchfrorenen Glieder auf vorbei brausende Freier warten. Schließlich erreiche ich mein Ziel, den Vitoscha Boulevard direkt im belebten Stadtzentrum (der unter dem Titel Витошка auf Stadtplan und Straßenschildern nicht leicht zu entdecken ist). Im Inneren einer Ladenpassage, in der nur noch ein Kiosk und ein Internetcafé geöffnet haben, entdecke ich den Bony Club, in dem es laut salsapower.com heute eine Party geben müsste.

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Hier gibt es tatsächlich Salsa. Freitags! Leider ist heute Donnerstag und ich rüttle erfolglos am beleuchteten, aber verschlossenen Portal. “Do you speak English?”, frage ich die alte Dame im Kiosk. Sie schüttelt energisch verneinend den Kopf und verzichtet mißtrauisch darauf, das Schippfenstärchen zu öffnen. Ich verlasse die Passage enttäusch und sehe, dass ein Security Officer sich bei der alten Dame nach mir erkundigt. Ich überquere den Витошка und frage einen jungen Mann mit Fellmütze, der im Schnee herum steht.

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“Do you speak English?” “Yes”, antwortet der Mann akzentfrei. Er kenne den Bony-Club und der DJ sei sein Freund. Er könne ihn anrufen, wenn ich wolle. Sein Telefon sei oben im Fetish Club. “Great Club!”, erklärt er und zeigt mit dem Daumen zum rot illuminierten Portal. “Thanks, not so important”. Ich breche auf, in Richtung Hotel. Ich glaube, ich bin der einzige Mensch in Sofia, der eine orangenen Jacke trägt. Kein wirklicher Tarnanzug, aber sooo schön warm. Ein Amerikaner spricht mich an. Er sucht schon relativ verzweifelt The Irish Harp. Ich bin versucht ihn zu begleiten, hebe aber statt dessen bedauernd die Schultern und tapse weiter durch die Nacht. Ich muss endlich schlafen.

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Der Rückflug wird zum Abenteuer. Wir fahren 2.5 Stunden früher zum Airport, um wegen des Verkehrs nicht in Stress zu geraten. Nach drei Stunden kommen wir an. Zum ersten Mal im Leben einen Flug verpasst. Ich buche ein neues Ticket bei Lufthansa und checke ein. Die Sicherheitskontrollen sind etwas lasch und dauern kaum fünf Minuten. Im Inneren stelle ich fest, dass mein Rückflug mit Bulgaria Air noch am Gate steht. Dafür ist die Lufthansa-Maschine aus München noch gar nicht abgeflogen.

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Als ich mit zwei Stunden Verspätung in München ankomme ist auch der Zug schon weg und die DB Lounge geschlossen. Ich setze mich in ein Internetcafé, wo die Bedienung meinen Café Latte vergisst und die Uhr am Computer falsch geht. Ich fühle mich müde. Der IC-Bummelzug nach Stuttgart hat eine halbe Stunde Verspätung, angeblich wegen eines Selbstmörders. Als ich um 1 Uhr 45 in Stuttgart ankomme will der Taxifahrer aus Ghana partout besser wissen als ich, wo ich wohne, und fährt mich um die halbe Stadt. Immerhin bringt er mich auf eine gute Idee und vermittelt mir einen potentiellen Kunden in Kumasi.

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